Arbeiten in den Ferien? – Du spinnst wohl! – Interkulturelles Lernen im Rahmen von Workcamps
Die Aussicht, in den Ferien zu arbeiten, ist auf den ersten Blick wenig verlockend. Dennoch verbringen jedes Jahr viele Jugendliche und junge Erwachsene mit Freiwilligenarbeit ihren Urlaub. Dabei verstehen sie sich weder als Alternativ-Touristen oder als Entwicklungshelfer. Vielmehr suchen die Jugendlichen, Eindrücke und Erfahrungen über andere Länder zu sammeln. Die Neugierde, etwas Unbekanntes und Neues kennenzulernen, gehört wohl zu ihren wichtigsten Motiven. Ein Freiwilligeneinsatz verspricht einen unmittelbaren, authentischeren Zugang zu dem Alltag eines Projektes, den darin arbeitenden Menschen und damit zu den Gewohnheiten und Gebräuchen eines anderen, fremden Landes.
Internationale Workcamps – Ein Steckbrief
Ein Workcamp ist eine spezielle Form des Freiwilligendienstes: Jugendliche und junge Erwachsene aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen leisten durch ihren unentgeltlichen Arbeitseinsatz einen materiellen und solidarischen Beitrag für ein sinnvolles Projekt. Gemeinsam arbeiten, leben und lernen sie für zwei bis drei Wochen in sozialen, kulturellen, ökologischen und politischen Projekten. Sie arbeiten mit innovativen Kulturgruppen, mit sozial Benachteiligten, mit Flüchtlingen und MigrantInnen, mit Kindern und Jugendlichen, mit Behinderten oder alten Menschen.
In einem Flüchtlingszentrum in Czerwony Bor (Nähe Bialystok) organisieren Freiwillige ein Ferienprogramm für Flüchtlingskinder: Neben Spielen, Theaterarbeit und Kunst stehen Englischkurse auf dem Programm.
Im ehemaligen Konzentrationslager Hamburg-Neuengamme erstellen die WorkcampteilnehmerInnen eine Photoausstellung zur Dokumentation des Arbeitslagers und des Nazi-Terrors.
Im Monar-Zentrum in Gaudynek (Mazuren) leben und arbeiten ehemalige Drogenabhängige und nehmen an einer Entzugstherapie teil. Die Freiwilligen unterstützen die BewohnerInnen im Alltag: sie arbeiten im Garten, führen Renovierungen durch und helfen in der Küche.
In der Nähe von Tübingen kümmern sich Freiwillige um ein Naturschutzgebiet: Feld- und Waldarbeiten, aber auch die Auseinandersetzung mit ökologischen Problemen und Umweltschutzfragen stehen im Mittelpunkt dieses Workcamps.
Über den praktischen Nutzen für das Projekt hinaus, tragen diese Einsätze zu internationaler Begegnung und Verständigung bei. Die Freiwilligen lernen nicht nur den Alltag im Projekt eines anderen Landes kennen, sondern darüber hinaus auch die verschiedenen individuellen und kulturellen Sichtweisen der internationalen TeilnehmerInnen des Workcamps.
Neben der Arbeit im Projekt setzen sich die WorkcampteilnehmerInnen in einem sog. Studienteil (‘study-part’) mit einem Thema auseinander. Diskutiert werden regionale oder grenzüberschreitende Probleme, die mit dem jeweiligen Projekt in Verbindung stehen: Umweltschutzfragen, die Situation von Flüchtlingen, Rechtsextremismus, der Alltag von Behinderten, usw.
Die TeilnehmerInnen eines internationalen Workcamps sind meist über 18 Jahre. Sie erhalten für ihre Arbeit kein Geld und tragen in der Regel die Kosten für ihre Reise und die Vermittlung durch eine Workcamporganisation selbst; Unterkunft und Verpflegung werden gestellt.
In Deutschland und Polen werden internationale Freiwilligeneinsätze und interkulturelle Begegnungen im Rahmen von Workcamps u.a. vom Service Civil International (SCI) organisiert. Informationen und Kontakt sind über die folgenden Internetseiten erhältlich:
SCI Germany, Bonn
Jeden Swiat, SCI One World Association Poland, Poznań
Übersicht
TEIL 1: Workcamps als Programmformat für deutsch-polnische Begegnungen
- Projekt und Projektpartner
- CampteilnehmerInnen und CampleiterInnen
- Arbeit und Studienteil, Freizeitgestaltung
- Selbstversorgung und Selbstorganisation
TEIL 2: Interkulturelles Lernen in Workcamps
- Impulse setzen
- ‘Selbstverständlichkeiten’ einplanen
- Erkundungen anleiten
- Austausch und Reflexion anregen
- Eingreifen und Auffangen
TEIL 1: Workcamps als Programmformat für deutsch-polnische Begegnungen
Charakteristisch für internationale Workcamps ist ihr spezifischer pädagogischer Ansatz, einer Kombination aus Arbeit, Studienteil und Freizeitgestaltung. Dadurch unterscheiden sie sich deutlich von anderen Formen internationaler Jugendbegegnungen. Zwei weitere Elemente sind die Selbstorganisation und das am Workcampalltag orientierte interkulturelle Lernen.
Projekt und Projektpartner
Das jeweilige Arbeitsprojekt wird mit einem Projektpartner vereinbart: Waldarbeiten in Zusammenarbeit mit der lokalen Naturschutzgruppe, Renovierungsarbeiten an einem Tagungshauses mit dem Träger des Hauses, Ferienaktivitäten mit dem Jugendclub der Stadt, Workshops mit behinderten Kindern mit einer Kindergarteneinrichtung, usw. In diesem Fall werden die Verantwortlichkeiten bezüglich Unterkunft und Verpflegung, der Organisation der Arbeit, des Studienteils und der Freizeitgestaltung mit dem Projektpartner geteilt.
Die Naturschutzgruppe, der Tagungshausträger, der Jugendclub oder der Kindergarten können aber auch selbst als Organisatoren des Workcamps auftreten. Damit bliebt die Verantwortung für die Organisation des Arbeitsprojektes und des Workcamps in einer Hand.
Für die Vorbereitung des Workcamps sind u.a. folgende Informationen über den Projektpartner von Bedeutung:
- Welches waren die Motive bzw. gesellschaftlichen Hintergründe zur Entstehung des Projekts?
- Welche Ziele verfolgt dieses Projekt? Sind diese in der konkreten Arbeit zu erkennen?
- Wer ist ständige/r AnsprechpartnerIn des Projekts während des Workcamps?
- Wer stellt die Arbeit des Projekts während des Camps vor?
- Welche schriftlichen Materialien gibt es über das Projekt?
CampteilnehmerInnen und CampleiterInnen
Bei den TeilnehmerInnen kann es sich um feste, bereits bestehende Gruppen handeln, z.B. die Jugendlichen von den Jugendzentren, Vereinen, Jugendinitiativen, usw. Denkbar ist auch, dass es beispielsweise in Polen eine bestehende Gruppe gibt und die deutsche Gruppe über eine Ausschreibung zustandekommt.
Die Frage, wie die jeweilige Zusammensetzung der WorkcampteilnehmerInnen zustandekommt, sollte nicht leichtfertig übergangen werden. Workcamps basieren auf der Idee der Freiwilligenarbeit. Entfällt die Freiwilligkeit der Teilnahme werden womöglich Erinnerungen an zwangsverordnete Arbeitseinsätze heraufbeschworen und der wohlgemeinte Beitrag zur Unterstützung eines Projektes schlägt fehl.
Ebenso wie in anderen interkulturellen Begegnungen gehört zu einem Workcamp eine pädagogisch geschulte Betreuung. Zu den Ansprüchen, die an die Leitung eines internationalen Workcamps gestellt werden, gehören u.a.:
- die unterschiedlichen Interessen, kulturellen Bedürfnisse und Verhaltensweisen der TeilnehmerInnen zu berücksichtigen,
- Begegnung zwischen den Kulturen zu ermöglichen (und dabei helfen, die Sprachbarriere zu überwinden),
zur Arbeit zu motivieren und Übersicht zu behalten, - zur Auseinandersetzung mit dem Projekt und seinen Zielen anzuregen,
- Prozesse der Selbstorganisation anzustossen und zu begleiten,
- das Programm zu organisieren (aber dabei auch Freiräume zu lassen),
- zwischen Projektparter und Workcampgruppe zu vermitteln,
- Spannungen und Konflikte anzusprechen / zu bearbeiten,
- usw. usf.
Gerade in bi- und trilateralen Workcamps spielt die sprachliche Barriere eine besondere Rolle. Die CampleiterInnen sollten darauf achten darauf, dass bei der Verständigung im Alltag eine gemeinsame (dritte) Sprache gesprochen oder gegebenenfalls übersetzt wird. Arbeits- und Studienteil stellen dabei besondere Herausforderungen dar.
Arbeit und Studienteil, Freizeitgestaltung
Die Arbeit sollte vier bis sechs Stunden täglich nicht überschreiten. Sie sollte in der Regel keine fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen, aber von einer Fachkraft angeleitet werden. Bei der Auswahl und Vorbereitung des Arbeitsprojektes sind eine Reihe von Aspekten zu beachen:
- Was soll konkret gearbeitet werden? Ist die Arbeit ausreichend bemessen für die Dauer des Workcamps und die Teilnehmerzahl? Ist die Arbeit von Freiwilligen, die über keine spezielle Qualifikation verfügen, zu bewältigen? Ist die Arbeit zumutbar? Ist die Arbeit sinnvoll? Inwiefern steht sie in einem sichtbaren Zusammenhang zum Projekt?
- Gibt es bereits einen realistischen Arbeitsplan? Wie lange und an welchen Tagen wird gearbeitet? Wer leitet die Arbeiten an? Gibt es Ausweicharbeiten (bei schlechtem Wetter)? Wie ist der Transport der TeilnehmerInnen von der Unterkunft zur Arbeitsstätte gesichert?
- Sind genügend Werkzeuge und Arbeitsmaterialien vorhanden? Welche Arbeitskleidung (Schuhe, Handschuhe, usw.) wird gebraucht? Welche Sicherheitsmassnahmen sind zu beachten?
- Ist die Arbeit beendbar, so daß für die TeilnehmerInnen ein Erfolg sichtbar ist?
Oftmals wird die Leistung eines Workcamps unterschätzt und es ist bereits nach wenigen Tagen keine Arbeit mehr vorhanden. Manche Projektpartner suchen dann händeringend nach irgendwelchen Pseudoarbeiten und verschleißen so die Motivation der Freiwilligen. In anderen Camps ist eher das Gegenteil der Fall: die Arbeit nimmt kein Ende und ist im Zeitraum des Workcamps nicht zu bewältigen. Es fehlen Erfolgserlebnisse, die CampteilnehmerInnen sind frustriert. Die goldene Mitte zu finden, ist sicher nicht einfach. Umso sorgfältiger muss das Arbeitsprojekt ausgewählt und vorbereitet werden.
Ebenso wichtig für das Gelingen eines Workcamps ist die Frage, ob sich für die Workcampteil-nehmerInnen der Sinn und die Notwendigkeit des Arbeitsprojektes unmittelbar erschließen. Hier sind Arbeits- und Studienteil miteinander verknüpft: Das jeweilige Campthema ist stets auf das jeweilige Projekt bezogen und steht in Verbindung mit der Arbeit am Projekt. Es bietet Anregungen und Möglichkeiten, sich mit Hintergrund des Projektes, seinen Zielen und den daraus entstehenden Fragen auseinanderzusetzten. Dabei sollten Austausch und Auseinandersetzung über das Campthema stets an den Erfahrungen der TeilnehmerInnen anknüpfen. Oftmals ergeben sich die spannendsten Diskussionen, wenn das Campthema auf die Lebenssituationen der Beteiligten in den jeweiligen Ländern bezogen und miteinander verglichen werden.
In der Vorbereitung des Studienteils sollten folgende Punkte geklärt werden:
- Welche Vorschläge hat der Projektpartner für die inhaltliche Beschäftigung mit dem Campthema? Welche Medien kann er/sie zur Verfügung stellen? Welche ReferentInnen sind ihm/ihr zum Campthema bekannt?
- Welche (zum Camp-Thema) lokal/regional interessante Dinge gibt es zu besichtigen (Stadtbummel mit Erklärung, Museum, Fabrik, Biotop, o.ä.)?
- Über welche für das Workcamp sinnvollen Kontakte (zu städtischen Einrichtungen, zur Kirche, zu Parteien, politischen Gruppierungen, Vereinen, interessanten Menschen, usw.) verfügt der Projektpartner?
- Wer stellt das Projekt vor? Wann wird es vorgestellt?
Im Rahmen von nationalen Vorbereitungstreffen ist es z.T. bereits möglich, die Wünsche und Bedürfnisse der TeilnehmerInnen in die Planung des Studienteils miteinzubeziehen. Es sollte aber auch genügend Raum für Eigeninitiative vorgesehen werden, denn viele Ideen entstehen erst während des Camps.
Aufgrund der Sprachbarriere müssen die Diskussionen und verwendeten Medien auf die Sprachkompetenz der CampteilnehmerInnen abgestimmt werden. Hier ist es wichtig, stets auf Übersetzung zu achten, aber auch viel Aktion und Anschauung mit aufzunehmen und den Schwerpunkt nicht auf verbale Darstellungen zu legen.
Der Übergang vom Studienteil zur Freizeit ist fließend: Gerade für TeilnehmerInnen, die das Gastland noch nicht kennen und dessen Sprache nicht sprechen, gehören auch viele Freizeitaktivitäten zum Studienteil: Bummeln in einer größeren Stadt, der tägliche Einkauf für das Workcamp, Stadtbesichtigungen o.ä. werden dann Teil des Lernens, wenn diese (kulturellen) Erfahrungen auch hinterfragt und reflektiert werden. Dies muss von den CampleiterInnen angestoßen und unterstützt werden.
Hinsichtlich der Freizeitaktivitäten sollte in der Vorbereitung folgendes überlegt werden:
- Welche Begegnungsmöglichkeiten gibt es (Jugendzentrum o.ä.)?
- Gibt es in der Umgebung Bademöglichkeiten? Einen Grillplatz? Ein Sportgelände?
- Welche Ausflugsziele gibt es im Umkreis? Welche Wandermöglichkeiten gibt es?
- Gibt es ein Kino? Eine Disco? Gute/bekannte/typische Kneipen?
- Welche Freizeitaktivitäten kann der/die Projektpartner organisieren?
- Gibt es Spiele, Bälle, usw. im Workcamp?
- Gibt es Zeitungen/Zeitschriften mit dem lokalen/regionalen Veranstaltungsprogramm?
Selbstversorgung und Selbstorganisation
Die CampteilnehmerInnen unterstützen mit ihrer Arbeit ein Projekt. Sie sind allerdings i.d.R. nicht in den Alltag des Projekts integriert, sondern schaffen sich ihre eigenen Strukturen des Zusammenlebens. Dazu gehören die Selbstversorgung und Selbstorganisation.
Die Selbstversorgung umfasst die Organisation des Einkaufs, des Kochens und des Abwaschs. Dabei spielt eine geeignete Unterkunft eine wichtige Rolle. In der Vorbereitung müssen folgende organisatorische Fragen diesbezüglich geklärt werden:
- Wo werden die WorkcampteilnehmerInnen schlafen? Gibt es genügend Betten? Reichen die sanitären Anlagen aus?
- Gibt es für Frauen und Männer getrennte Schlaf- und Wasch-/ Duschmöglichkeiten?
- Gibt es einen gemütlichen Aufenthaltsraum? Gibt es genügend Tische/Stühle?
- Ist eine ausreichend große Küche/Kochstelle vorhanden? Ist genügend Geschirr und Kochgerät vorhanden?
- Sind Putzmittel, Putztücher, Geschirrhandtücher, usw. vorhanden?
- Gibt es eine Möglichkeit, Geld und Wertsachen wegzuschließen?
- Wo steht der Erste-Hilfe-Koffer? Sind Pflaster, Mullbinden, Medikamente, usw. in ausreichender Menge vorhanden?
- Welche Einkaufsmöglichkeiten gibt es in der Umgebung (Markt, Großmarkt, Bauer, Bioladen, usw.)?
- Welche Transport- und Fortbewegungsmittel gibt es (Auto, Fahrräder)? Wo gibt es Fahrpläne von Zug/Bus/Straßenbahn?
- Wo ist das nächste Telefon?
- Wo ist der/die nächste Arzt/Ärztin? Die nächste Apotheke? Gibt es eine Liste des Notdienstes? Welches sind die jeweiligen Telefonnummern?
Über die Selbstversorgung hinaus, bezieht sich die Selbstorganisation auf die eigenverantwortliche Gestaltung des Workcamps: das gemeinsame Planen und Entscheiden über das Programm, Inhalte des Studienteils, die Organistation des Campalltags, Freizeitaktivitäten, usw. All dies verlangt viel Engagement und Eigeninitiative von den WorkcampteilnehmerInnen.
Dafür braucht es Räume, die es den TeilnehmerInnen ermöglichen, während des gesamten Camps mitzuplanen, mitzugestalten, mitzuentscheiden. Beispielsweise kann nach dem gemeinsamen Abendessen über wichtige Programmpunkte informiert oder Aktivitäten vereinbart werden. Von Zeit zu Zeit sollten Zwischenauswertungen durchgeführt werden, um Bedürfnisse herauszufinden, neue Ideen aufzugreifen, Absprachen zu treffen, usw.
Die Campleitung unterstützt die Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit der Campgruppe: sie leiten an, bringen Selbstorganisationsprozesse in Gang, fördern Eigeninitiative und Eigenverantwortung; sie besorgen die (für eine Entscheidung) erforderlichen Informationen, zeigen verschiedene Möglichkeiten auf, bieten Entscheidungshilfen an, usw.
Interkulturelles Lernen in Workcamps
Der gelebte Alltag im Workcamp bietet zahlreiche Anlässe und Chancen für das interkulturelle Lernen, das hier als gleichberechtigter Prozess des wechselseitigen Lernens übereinander und miteinander verstanden wird. Zentraler Bezugspunkt eines solchen Lernens sind dabei die angenehmen und unangenehmen Erfahrungen und Erlebnisse, die im Zusammenleben und Zusammenarbeiten im Workcamp zutage treten.
Wie kann interkulturelles Lernen im Workcamp initiiert und begleitet werden?
Interkulturelles Lernen …
initiieren
- Impulse setzen
- ‚Selbstverständlichkeiten’ einplanen
begleiten
- Erkundungen anleiten
- Austausch und Reflexion anregen
- Eingreifen und Auffangen
Impulse setzen
Mit Impulsen sind hier Methoden des interkulturellen Lernens gemeint, die auf Aspekte und Problembereiche interkultureller Begegnungen zielen und interkulturelle Kontaktsituationen simulieren. Innerhalb solcher Situationen können die WorkcampteilnehmerInnen Erfahrungen machen, die ihnen helfen, ihr Miteinander-Leben und -Arbeiten besser zu verstehen und zu gestalten. Zu solchen Impulsen gehören:
- Die Demonstration von Wahrnehmungsphänomenen,
- Übungen zu Grenzen und Grenzverletzungen,
- Übungen zu Kommunikationsschwierigkeiten und Problemen der Zusammenarbeit,
- Rollenspiele zu interkultureller Zusammenarbeit und Konflikten im Campalltag,
- Simulationen von interkulturellen Begegnungen (z.B. Karo meet Delta, Bei den Deridianern, Albatross, Bafa Bafa).
‘Selbstverständlichkeiten’ einplanen
Wie selbstverständlich findet in einer Begegnung ein Austausch über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten statt. Dies entspringt direkt dem Interesse und der Motivation der CampteilnehmerInnen, Land und Leute näher kennenzulernen, sich über kulturelle Eigenarten und Besonderheiten auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Eine Auseinandersetzung darüber sollte allerdings über ein reines Kennenlernen von folkloristischen Merkmalen hinausgehen, um die Vielschichtigkeit von Kultur, die auch Differenzierungen innerhalb eines kulturellen Orientierungssystems deutlich werden läßt, gerecht zu werden.
Methodisch bedeutet dies, im Programm folgende Elemente einzuplanden :
- Nationale Gerichte und Spezialitäten,
- Nationale Spiele, Lieder und Tänze,
- Raum für die eigene Sprache,
- Sprache(n) lernen, Sprachanimation, eine gemeinsame Campsprache entwickeln,
- Sich, sein/ihr Heimatland und seine/ihre Region/Stadt vorstellen,
- Bilder und Postkarten von Daheim ansehen,
- Deutschland/Polen kennenlernen (durch Ausflüge, Exkursionen, Bummeln, Spazieren gehen, Kneipenbesuch, Schützenfest, Brauereibesuch, usw.),
- Kleinere Spiele und Übungen zum interkulturellen Lernen (z.B. nationale Begrüßungen, Internationale Verkehrsmittel).
Erkundungen anleiten
Kulturelle Erkundungen bauen auf die Neugier der CampteilnehmerInnen hinsichtlich des Gastlandes und der Länder der beteiligten CampteilnehmerInnen. Die von der Campleitung gesetzten Impulse zielen darauf, die Wahrnehmung der CampteilnehmerInnen zu schärfen und innerhalb eines methodisch strukturierten Rahmens die gewonnen Erfahrungen zu bearbeiten und zu reflektieren. Dabei können die unterschiedlichen kulturellen Wahrnehmungen kontrastiert und Selbst- und Fremdwahrnehmungen miteinander konfrontiert werden.
Konkret läßt sich dies umsetzen, durch:
- Beobachtungsfragen bei Stadtbesichtigungen und Exkursionen,
- (Thematische) Spurensuche in der Stadt, in der Umgebung,
- Assoziationen zum eigenen Land mit denen anderer Länder vergleichen,
- Sprichwörter sammeln und auf ihre kulturellen Hintergründe durchleuchten,
- Statuentheater oder Theaterstücke zu typischen Situationen,
- Kreative Methoden aller Art: Malen, Zeichnen, Collagen, Arbeiten mit Ton, Stein oder anderen Materialien, Schreiben, Performance, usw.
Austausch und Reflexion anregen
Ausgangspunkt sind die selbständigen bzw. angeleiteten Erkundungen der CampteilnehmerInnen. Ganz von selbst wird meist nebenbei gefragt und werden Vergleiche angestellt: „Und wie ist das bei Euch?“. Darüber hinaus geht es aber auch darum, konkrete Alltagserlebnisse aufzugreifen und zu besprechen. (Schlüssel-)Erfahrungen, die im informellen Bereich gesammelt werden, sollen von der Campleitung aufgegriffen und gemeinsam mit den CampteilnehmerInnen reflektiert werden. Der/Die CampleiterIn wird hier zum Begleiter bzw. kulturellen Vermittler.
Methodisch stehen den CampleiterInnen folgende Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung:
- Erkundungen, Ausflüge, Exkursionen, usw. nachbereiten, damit die gewonnen Erfahrungen ausgetauscht und reflektiert werden können,
- Deutschlandbilder/Polenbilder aufdecken: Was habt Ihr in Deutschland/Polen wahrgenommen? Was davon ist für Euch typisch deutsch/polnisch?
- Kulturelle Regeln und Bedeutungen reflektieren und ggf. korrigieren,
- Wahrnehmungen kontrastieren, das eigene Land/die eigene Kultur nicht nur von seiner schönen Seite zeigen,
- Im Studienteil weniger Inhalte vermitteln, sondern ihn als Ort des Austauschs und der Auseinandersetzung nutzen: Welche ökologischen Initiativen gibt es in Euren Ländern? In welchen Ländern ist Rassismus Thema? Welche ökologischen Probleme gibt es in Eurer Region? usw.
Eingreifen und Auffangen
Hier geht es um unmittelbare Interventionen: Sichtbar machen, was ist, meist ad hoc aus dem Prozess heraus und am Alltagsgeschehen orientiert. Der/Die CampleiterIn sollte ein Gespür für Gruppenprozesse entwickeln, Spannungen zwischen TeilnehmerInnen, Stimmungsschwankungen und Konflikte in der Gruppe wahrnehmen lernen. Dieser Blick (oder dieses Gespür) für den/die Einzelne/n, die Gruppe, den Prozess entwickelt sich mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit Gruppen. CampleiterInnen können durch ein Lerntagebuch oder einen regelmäßigen Austausch im Team kontinuierlich die eigene Wahrnehmung dafür schärfen.
Praktisch bedeutet dies:
- In Konflikten vermittelnd einzugreifen,
- Emotionale Unterstützung zu geben,
- Eine angenehme, vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen,
- Zeit und Raum für Zwischenauswertungen und gemeinsame Programmplanung vorzusehen,
- Einen Raum schaffen, um Gefühle auszudrücken und Erfahrungen mitzuteilen.
Interkulturelles Lernen …
initiieren
– Impulse setzen
– ‚Selbstverständlichkeiten’ einplanen
begleiten
– Erkundungen anleiten
– Austausch und Reflexion anregen
– Eingreifen und Auffangen
Interkulturelles Lernen passiert nicht von selbst, es muss aktiv initiiert und gestaltet werden. Voraussetzung dafür sind ausreichend Energiereserven, die die Campleitung in die Lage versetzt, die Dynamik der Gruppe zu verfolgen und für alle ansprechbar zu bleiben. Das bedeutet auch, dass sie sich von einigen Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten entlastet und die Selbstorganisation und Eigeninitiative der WorkcampteilnehmerInnen nutzt und fördert.
Literaturtipps
Service Civil International (2000): Lead and let lead. Camp Leader Manual, SCI-Germany, Bonn (dt.: Kopfstütze und Handlanger. Handbuch für Campleiter/innen; SCI-Germany, Bonn 1999)
Council of Europe and European Commission (2002): International Voluntary Service (t-kit), Training-Youth-Net
Quelle: "Arbeiten in den Ferien - Du spinnst wohl?" erschienen: DPJW (Hrsg.): Und was machen wir heute? Aspekte einer deutsch-polnischen Jugendbegegnung (Deutsch-Polnische Werkstatt II); Poligrafia Poznan, 2007, S.110-118 (über das DPJW zu beziehen)
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